Niedrige Impfquoten aufgrund mangelnder Umsetzung – eine vermeidbare Gefahr für die Gesellschaft
29. April 2021
Wir leisten uns in Deutschland in vielen Bereichen zu niedrige Impfquoten. Und das, obwohl Impfungen zu den wirksamsten, kosteneffizientesten und wichtigsten präventiven Maßnahmen zum Schutz vor Infektionskrankheiten gehören und der Wert allgemein anerkannt ist.
Die COVID-19 Pandemie zeigt mit dem Brennglas auf, wie wichtig Impfungen für den gesundheitlichen Schutz jedes Einzelnen und der Gemeinschaft sind und welche wirtschaftlichen Folgen durch Infektionskrankheiten entstehen können. Impfungen bieten großen Schutz, für wenig Aufwand und zu überschaubaren Kosten für die Gesundheitssysteme. Bekannt ist, dass der Wert von Impfungen die Kosten um ein Vielfaches übertrifft und das nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch in Industrieländern. 2,4 Milliarden Euro gab die deutsche gesetzliche Krankenversicherung 2019 für Schutzimpfungen aus. Das sind gerade einmal 0,8 Prozent der Gesamtausgaben und im internationalen Vergleich geringe Investitionen in die Zukunft. Nutzen und Wert von Impfungen für das Gesundheitssystem sind allgemein anerkannt und sollten sich in entsprechenden Impfquoten widerspiegeln. Die Politik ist hier weiterhin gefordert entsprechende Veränderungen im System voranzubringen.
Niedrige Impfquoten – trotz umfangreicher Impfempfehlungen
Deutschland hat einen umfassenden Kalender allgemein von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlener Impfungen, vom Säuglings- bis in das Erwachsenenalter sowie für Risikogruppen. Und die Kosten dieser Impfungen werden von den Krankenkassen getragen. Das sind grundsätzlich gute Voraussetzungen für hohe Impfquoten. Trotzdem hat der Gesundheitsminister angesichts des seit vielen Jahren nicht erreichten Masern-Impfziels mit dem Masernschutzgesetz die Notbremse gezogen. Eine drastische und sehr kontrovers diskutierte Maßnahme, die letztendlich in ihrer Konsequenz von der Mehrheit des Deutschen Bundestages mitgetragen wurde!
Bei vielen, seit langem etablierten Vakzinen gelingt es in Deutschland seit Jahren nicht, die Impfraten deutlich zu erhöhen oder die im Nationalen Impfplan verankerten Ziele zu erreichen. Zwei Beispiele:
- Die Standard Pneumokokken-Impfung für gesunde Erwachsene wird seit mehr als zwei Jahrzehnten (!) von der STIKO empfohlen. Laut RKI lag die Impfquote 2020 im Bundesdurchschnitt bei 18,5 Prozent.
- 2019 lag Deutschland laut einer WHO/UNICEF-Auswertung bei den HPV-Impfquoten von Mädchen im Vergleich der Industriestaaten lediglich im unteren Drittel. Wir vergeben damit eine wichtige Chance die Ziele der WHO und der EU-Kommission, die Rettung von Menschenleben durch eine nachhaltige Krebsprävention, zu erreichen.
Ein Problem der Umsetzung
Die Auswertungen des Robert Koch-Institut (RKI) zu den nationalen Impfquoten und der Blick in andere Länder mit hohen Impfquoten machen deutlich, dass wir ein Problem in der langfristigen und verbindlichen Umsetzung der Impfempfehlungen haben. Es fehlt hierzulande weitestgehend die Festlegung nationaler Impfziele für die von der STIKO empfohlenen Impfungen und die darauf ausgerichtete Etablierung zielgerichteter Konzepte und Maßnahmen. Die erfolgreichen Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass ein niedrigschwelliger Zugang durch den Ausbau des Impfens in den Lebenswelten wesentlich zum Schließen von Impflücken beiträgt. Der öffentliche Gesundheitsdienst und die Arbeits- und Betriebsmedizin können eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Impfstrukturen darstellen, müssen aber wesentlich stärker agieren können. Der Nutzen digitaler Strukturen und der Erfolg des elektronischen Impfpasses hängt wesentlich davon ab, ob eine schnelle Übertragung der bisher erfolgten Impfungen sichergestellt wird und die Einführung von Einladungs- und Recall-Systemen obligatorisch wird. Hier bedarf es weiterer gesetzgeberischer Klärung. Letztendlich macht die Pandemie auch deutlich, dass für die Akzeptanz von Impfungen breite Aufklärung und kontinuierliche neutrale Informationen notwendig ist. Entsprechende Kampagnen müssen dafür auf die Themen ausgerichtet, altersgerecht und zielgruppenspezifisch sein.
Sind wir auf dem Weg?
Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger können eine wichtige Rolle beim Aufbau widerstandsfähiger Impfsysteme spielen, die Risiken antizipieren und managen können. Resiliente Impfprogramme sind solche, die größeren Schocks und Störungen widerstehen, sich schnell an veränderte Umstände anpassen und eine hohe Impfakzeptanz über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten können. Der Aufbau widerstandsfähigerer und nachhaltigerer Programme ist der Schlüssel bei der Vorbeugung, Bewältigung und Erholung von Krisen. Impfungen sind zu Recht eine der wichtigsten Säulen beim Erhalt der öffentlichen Gesundheit.
Einerseits hat die Gesetzgebung der letzten Jahre einige Grundsteine für Verbesserungen im Impfsystem gelegt. Diese müssen nun konsequent weiterentwickelt und wesentlich verbindlicher ausgestaltet werden, damit sie zur Steigerung der Impfraten beitragen können. Andererseits fehlen in den bisher veröffentlichten Entwürfen der Partei-Programme zur Bundestagswahl überwiegend konkrete Ansätze, die die dringend notwendige Verbesserung des Infektionsschutzes durch Prävention und Impfen deutlich machen – und das trotz der einschneidenden Erfahrungen und Erkenntnisse durch die COVID-19 Pandemie.
Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema Impfen war noch nie so hoch wie derzeit. Jetzt gilt es diese Aufmerksamkeit für die lange überfällige Steigerungen der Impfraten zu nutzen. Zur Stärkung des Impfsystems und zum Aufbau resilienter Strukturen brauchen wir aber dringend weitergehende, gesundheitspolitische Weichenstellungen.
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