Lange wurde gewartet, am 26. April war es dann so weit: Die EU-Kommission präsentierte ihr EU-Pharmapaket. Die erste große Reform des EU-Arzneimittelrechts seit zwei Dekaden. Entsprechend groß sind die Ambitionen der EU-Kommission. Nichts weniger als einen „Gamechanger“ versprach die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides den Abgeordneten des EU-Parlaments.
Und tatsächlich hat sich die Behörde viel vorgenommen: Alle EU-Bürgerinnern und Bürger sollen künftig gleichberechtigt Zugang zu innovativem Arzneimittel haben – unabhängig von dem Land, in dem sie leben. Aktuell gibt es noch eine große Kluft: Sind in Deutschland rund 90% aller innovativen Arzneimittelverfügbar, sind es in Bulgarien oder Rumänien lediglich 30%.
Zudem soll das Paket ein innovationsfreundliches Klima für Pharmaunternehmen schaffen. Damit soll die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente gefördert werden. Insbesondere bei Erkrankungen, die bisher nicht behandelt werden konnten. Große Ziele für eine große Reform.
Die Richtung stimmt also. Doch die EU-Reform droht, an ihrem eigenen Anspruch zu scheitern. Statt mehr Innovationen und einem besseren Zugang zu Arzneimitteln für Patientinnen und Patienten könnte das Paket genau das Gegenteil bewirken. Warum? Die EU-Kommission setzt die falschen Prioritäten. Ein Fortschritt an einer Stelle wird durch zwei Rückschritte anderswo konterkariert.
Gute Intention, mangelhafte Umsetzung
Besonders problematisch sind die Vorschläge zur Schwächung des Schutzes geistigen Eigentums. Konkret will die EU-Kommission den Unterlagenschutz von derzeit acht auf sechs Jahre verkürzen. Doch das ist ein riskantes Spiel. Denn der Unterlagenschutz ist ein wichtiger Anreiz für Unternehmen, in die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel zu investieren. Er garantiert, dass Unternehmen ihre kostspieligen Investitionen ausgleichen können. Dies ist besonders bei komplexen Entwicklungsprozessen wie Biologika wichtig, wo der Patentschutz häufig früher endet. Wird der Schutz gekürzt, sinkt der Anreiz zur Innovation – und damit die Chance auf innovative Therapien von morgen.
Dabei ist gerade der Patent- und Unterlagenschutz ein Wettbewerbsmerkmal der EU. Eine Schwächung dieses System mindert die Attraktivität des Pharmastandorts. Langfristig könnten F&E und Produktion abwandern, was bestehende Abhängigkeiten verstärkt – ein Trend, dem die EU eigentlich entgegentreten wollte.
Da hilft es nicht, dass der Verlust an Unterlagenschutz unter Umständen wieder ausgeglichen werden könnte, wenn Unternehmen ihre Produkte innerhalb von zwei Jahren in allen 27 Mitgliedsstaaten auf den Markt bringen. Denn diese Option bleibt für die Unternehmen rein theoretischer Natur. Denn die Verfügbarkeit von Arzneimittel hängt maßgeblich von den 27 verschiedenen Gesundheitssystemen in der EU ab. Hindernisse sind langsame Regulierung, verzögerte Marktzugangsbewertung oder doppelte Evidenzanforderungen. Wer die Zugangsprobleme in der EU beseitigen will, muss hier ansetzen.
Tatsächlich haben sich die forschenden Pharmaunternehmen bereits heute verpflichtet, die Verfügbarkeit ihrer Arzneimittel zu verbessern – etwa indem sie rechtzeitig die nötigen Anträge und Unterlagen für Preis- und Erstattungsverhandlungen auf nationaler Ebene einreichen. Jetzt ist es an den Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die EU könnte dies unterstützen, indem sie gemeinsame Plattform aufsetzt, um über echte Lösungsansätze zu diskutieren. Eine Kürzung des Unterlagenschutzes ist jedoch keiner davon.
Mehr Mut für Innovationen gefragt
Bei aller Kritik enthält das Paket auch gute Ansätze. Die Vorschläge der EU-Kommission zum Bürokratieabbau und zur Reform der Zulassungsprozesse gehen in die richtige Richtung. Kürzere und innovationsfreundlichere Verfahren können helfen, dass neuartige Therapien schneller zugelassen werden und damit den Patientinnen und Patienten in der EU früher zur Verfügung stehen. Das ist insbesondere für Deutschland entscheidend. Dank der frühzeitigen Erstattung durch das sog. AMNOG-Verfahren hierzulande sind innovative Therapien in Deutschland kurz nach der Zulassung zur Verfügung.
Allerdings wäre mehr Ambition wünschenswert. Vor allem in Sachen Digitalisierung ist noch Luft nach oben, beispielsweise bei der Einführung der digitalen Patienteninformation (ePI). Die elektronische Version des alt-bekannten Beipackzettels ist patientenfreundlich, umweltschonend und hilft auf Lieferengpässe zu reagieren. Doch nach den Plänen der EU-Kommission droht ein Flickenteppich, wonach zunächst jeder EU-Staat eine eigene Regelung trifft. Eine einheitliche Umsetzung könnte es erst in vielen Jahren geben.
Die Kommission hat auch in Bezug auf Antibiotikaresistenzen wichtige Schritte nach vorne gemacht. Mit dem Vorschlag für übertragbare Exklusivitätsgutscheine (TEV) sollen Anreize für die Entwicklung von Reserveantibiotika geschaffen werden. Ob das Ziel mit diesem Instrument aber erreicht werden kann, hängt stark von der konkreten Ausgestaltung dieser Gutscheine ab. Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission ist so restriktiv gestaltet, dass er wohl kaum ausreicht, um neue Innovationen in diesem Bereich anzuregen.
Nachdem die EU-Kommission das Pharma-Paket vorleget hat, sind jetzt die Politiker:innen im EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten am Zug. Sie müssen ihre Positionen formulieren und dann ein gemeinsames Paket verhandeln. Was wir jetzt brauchen, ist mehr Mut für Innovation – egal ob bei der Digitalisierung, der Reform von Zulassungsprozessen oder in der Antibiotikaentwicklung. Statt sich in Diskussionen über Unterlagenschutz zu verfangen, sollte sich die EU auf Verbesserungen der Innovationsbedingungen konzentrieren. Nur so kann das Pharmapakt zum „Game Changer“ für Patientinnen und Patienten und für den Wirtschaftsstandort in Europa werden.
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