MSD Afterglow: Baerbock, Scholz oder Laschet – Wer erreicht die Wähler:innen?
11. August 2021
Negativkampagnen, Zurückhaltung des Spitzenpersonals und die große Bedeutung der frühen Briefwahl – der Bundestagswahlkampf 2021 ist erkennbar anders. Der nahende Abschied von Bundeskanzlerin Angela Merkel hinterlässt ein politisches Vakuum und momentan lässt sich nicht vorhersagen, wer die nächste Legislaturperiode prägen wird. Gleichzeitig sorgt die Pandemie dafür, dass der Wahlkampf digitaler denn je geführt wird und durch vermehrte Briefwahl der Wahltag selbst nicht alleiniger Höhepunkt der Kampagnenführung sein kann. Daher ist es überraschend, dass die Auseinandersetzung um die weitere politische Richtung des Landes eher schleppend anläuft. Statt inhaltlicher Diskussionen standen in den letzten Wochen die Kandidat:innen als Personen im Fokus der Öffentlichkeit. Thematisch fehlt es vielfach an Zuspitzung – doch wie viel Kalkül der Parteien steckt dahinter? Wie unterscheidet sich der diesjährige Wahlkampf in Sachen Kommunikation von vorherigen und welchen Einfluss haben soziale Medien auf den Verlauf des Wahlkampfes?
Diese und weitere Fragen diskutierten wir mit Martin Fuchs, Blogger und Experte für digitale politische Kommunikation sowie mit unseren Gästen bei dem Political Afterglow „Baerbock, Scholz oder Laschet – Wer erreicht die Wähler:innen?“.
Zu unserer großen Freude war dies – zum ersten Mal seit über einem Jahr – wieder vor Ort am MSD hub berlin möglich.
Martin Fuchs trug zur spannenden Diskussion durch sein Fachwissen aus langjähriger Erfahrung in der Projekt- und Kampagnenberatung sowie der Begleitung alltäglicher Kommunikationsroutinen politischer Akteure bei. Bekannt ist der Kolumnist zahlreicher Medien für das virtuelle Panoptikum der #wahlplakatefromhell, das unter seinem Twitter-Handle @wahl_beobachter und im Blog www.hamburger-wahlbeobachter.de besichtigt werden kann. Gerade im Spezialgebiet der digitalen Kommunikation über jegliche Onlinekanäle konnten wir und die Gäste des Abends interessante Denkanstöße mitnehmen.
Der Wahlkampf wird unberechenbarer und digitaler
In seinem Impulsvortrag stellte der Wahlhamburger mehrere Thesen zur Einordnung des aktuellen Wahlkampfes auf. So habe sich vor allem durch die Digitalisierung ein politischer Kulturwandel eingestellt. Kleinere Fehltritte der Kandidat:innen, welche früher in der Lokalpresse untergegangen wären, würden sich heute über soziale Netzwerke binnen Minuten zu PR-Skandalen auf nationaler Ebene ausweiten. Ein wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang sei, dass die herkömmlichen Medien ihre Rolle als „Gatekeeper“ verloren hätten und jeder der „82 Millionen politischen Redakteure in Deutschland“ seine Meinung online veröffentlichen könne. Dies schaffe für Wahlkampfteams zunehmend stärkere Anreize, einerseits die eigenen Kandidat:innen nicht durch vermeintlich unkontrollierte Veranstaltungsteilnahmen zu exponieren, sich andererseits selbst in spontanen Negativkampagnen im Internet zu engagieren. Sachthemen treten gleichzeitig in den Hintergrund.
Fuchs beobachtet aber als Gegentrend einen verstärkten Fokus auf den analogen Wahlkampf an Haustür und Busbahnhof. Durch die zunehmende Zersplitterung von digitalen Informationsplattformen werden altbekannte Wahlkampftechniken wie das Plakat vor dem örtlichen Supermarkt wieder verstärkt genutzt. Grundsätzlich solle man sich jedoch von dem Gedanken verabschieden, dass es einen analogen und einen digitalen Wahlkampf gebe. Genau wie beim Rest des öffentlichen Lebens hätten sich auch beim Wahlkampf digitale und analoge Entwicklungen längst unwiderruflich vermischt.
Wahlkampf auf Social Media – zunehmend professionell, aber zu selten inhaltlich
Im anschließenden gemeinsamen Austausch ergab sich eine spannende Diskussion über die Professionalisierung der aktuellen Social Media Kampagnen der großen Parteien. Laut Martin Fuchs werden die Digitalkampagnen auf Bundesebene mittlerweile sowohl mit großen Etats, als auch eigenen reichweitenstarken ehrenamtlichen Multiplikatoren geführt. Anders sehe es jedoch auf Landes- und Kommunalebene aus. Der Blogger und Experte für politische Kommunikation geht davon aus, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis alle Landesverbände den Mehrwert eines professionellen digitalen Auftritts verinnerlicht haben werden.
Dabei hob Fuchs Aminata Touré, Lars Petersdotter (beide Grüne in Schleswig-Holstein) und Timo Wölken (Europaabgeordneter der SPD) als positive Beispiele hervor, die durch qualitativ hochwertige und sachbezogene Inhalte auf ihren Social-Media-Kanälen erfolgreich hervorstechen würden. Neben der wichtigen Arbeit dieser jungen Abgeordneten würde Fuchs sich für die politische Kultur in Deutschland wünschen, dass sich Lob für den politischen Gegner etabliert. Der stärkere Fokus auf politische Gemeinsamkeiten im digitalen Austausch würde der Demokratie im Ganzen gut tun.
Mit vertieftem Hintergrundwissen und einem besonderen Auge für die digitalen Komponenten dieses Wahlkampfes schauen wir gespannt auf die kommenden Wochen und bedanken uns bei allen Anwesenden herzlich für den interessanten Austausch.
Ihr Kontakt
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:
Clemens Kuhne
Director Gesundheitspolitik und Patientenbelange | Leiter MSD hub berlin